01.02.2005
Notiz zum Weinerzeuger: Marqués de Griñón Family Estates
Quelle: Alles über Wein (DE) - 1/2005

Pionier der Lagenweine

In der Zeitschrift »Alles über Wein« stellt Friedhelm Mühleib in seinem Porträt die Kellerei Pagos de Familia von Carlos Falcó vor. Über das Weingut aus der spanischen D.O. Dominio de Valdepusa schreibt er nachfolgend im Original:

„Er ist das Aushängeschild der spanischen Weinwirtschaft: Carlos Falcó, Marqués de Griñón, hat mit Kampfgeist und Beharrlichkeit seine Visionen verwirklicht und Spaniens Weinwelt entscheidend geprägt. Ein moderner Aristokrat, der nicht müde wird, seine Ideen in die Tat umzusetzen.

In der Rioja wird er ausgelacht. Das spanische Wein-Establishment erklärt ihn für verrückt. Die Behörden in Madrid belegen ihn mit hohen Bußgeldern. Dass er zum Hochadel zählt, schützt ihn nicht vor öffentlichem Spott und Häme. Carlos Falcó y Fernández de Córdova, Marqués de Griñón, junger Spross eines uralten spanischen Adelsgeschlechtes und Mitglied der erlauchten Kaste der „Spanischen Granden”, hat mitten im Nirgendwo von Castilla-La Mancha Cabernet Sauvignon, Syrah und Petit Verdot angepflanzt.
Der junge Falcó verfügt über viel blaues Blut und wenig Weinerfahrung. Als diplomierter Agraringenieur ist er im Weinbau ein Neuling, und was er macht, ist nach dem spanischen Weingesetz verboten. Das Verrückteste an der Geschichte: Die frisch gepflanzten Weinberge liegen rund um das Familiengut Dominio de Valdepusa, das sich seit dem 12. Jahrhundert im Besitz der Familie befindet und nordwestlich von Toledo in einer Gegend liegt, wo bisher allenfalls wilde Oliven wuchsen und iberische Schweine unter Steineichen wühlten. Hier keltert Falcó weit außerhalb der Grenzen des nächsten zugelassenen Weinbaugebietes - der Mancha - seine ersten Weine, die von der spanischen Kritik verrissen werden. All das passierte vor ziemlich genau 25 Jahren. Damals, Ende der 70er-Jahre, lässt die spanische Weinszene keinen Zweifel daran: Dem Jungspund ist der lange Auslandsaufenthalt zu Kopf gestiegen.
Carlos Falcós Geschichte beschreibt den Weg vom Außenseiter zur „Weinlegende”. Heute wird er als Neuerer und Revolutionär gefeiert und gilt als eine der großen Leitfiguren des spanischen Weinbaus im 20. Jahrhundert. Spätestens nachdem Robert Parker Jr. 1995 für »The Wine Advocate« gleich fünf Weine von Marqués de Griñón mit Bewertungen von 86 bis 92 Punkten bedachte, machten die Weine in Windeseile international Furore. Mit 92 Punkten für den ›Dominio de Valdepusa 1992‹ und dem Prädikat „Bester Rotwein Spaniens” feierte Parker die Weine Falcós als große Entdeckung. Nach den 96 Parker-Punkten für den ›1996er Dominio de Valdepusa Syrah‹ wurden die Kreszensen des früher Vielgescholtenen zum Kult. Legendär sind seine großen Syrahs, die immer wieder auch die Top-Australier in den Schatten stellten. Seine reinsortigen Petit Verdots sind ebensolche Ausnahmeerscheinungen wie die seit 1996 aufgelegte Spitzen-Cuvée ›Emeritus‹.

Markenzeichen und Aushängeschild

Der Mann ist wie seine Weine: kraftvoll und dabei trotzdem elegant, klare Linie und gleichzeitig extrem vielschichtig. Heute schmückt man sich gerne mit ihm. Als Mitglied verschiedener Verbände und Institutionen ist er Markenzeichen und Aushängeschild der spanischen Weinwirtschaft. Kaum einer wäre dafür besser geeignet als er. Don Carlos ist der Prototyp des modernen Aristokraten: ein Mann mit perfektem Stil, dabei ohne jede Steifheit und erhaben über jede Provinzialität. Ein Botschafter des Weines, der spielend vom Spanischen ins Englische oder Französische wechselt. Hart in der Sache und beweglich in der Form - mit viel Humor und einem ansteckenden Lachen. Die Anerkennung und den Respekt in Spaniens Weinwirtschaft hat er jedoch weniger der Qualität seiner Weine zu verdanken als seinem Einsatz für den Aufbruch in die Moderne: Falcó war und ist der Pionier der Lagenweine, geistiger Vater und Geburtshelfer der „Vinos de Pago”, die als neue Prestigeweine Spaniens gelten.
Bis dahin war es ein weiter Weg. Seine Erdverbundenheit geht auf die vielen Kindheitstage zurück, die er mit seinen Eltern und dem Großvater, dem die Finca damals gehörte, in Valdepusa verbrachte. Carlos kommt 1937 in Sevilla zur Welt und wächst im Kriegs- und Nachkriegsspanien auf, das von Franco mit harter Hand regiert wird. Kindheit und Jugend sind geprägt von einem Elternhaus, das sich seine liberale Haltung trotz politischem Gegenwind bewahrt. Der junge Grande verspürt wenig Lust auf eine für Leute seines Schlages typische Diplomaten- oder Militärkarriere. Stattdessen studiert er im belgischen Leuven Agrarwissenschaften. Noch während des Studiums stirbt sei Großvater und Falcó beschließt, den Betrieb baldmöglichst zu übernehmen und mit modernen Methoden fortzuführen. Zuvor zieht es den frisch gebackenen Agraringenieur noch nach Kalifornien, wo er sich verstärkt mit dem Thema Weinbau beschäftigt: Falcó: „Damals hat mich grenzenlos beeindruckt, wie im Napa Valley aus klassischen Bordeaux-Sorten wie Cabernet und Syrah Topweine gekeltert wurden. Meine Gedanken gingen nach Valdepusa. Warum sollte dort unter ähnlichen klimatischen Verhältnissen nicht Ähnliches möglich sein?”

Kein Raum für die Umsetzung von Ideen

Die Rückkehr Falcós nach Spanien in der zweiten Hälfte der 60er Jahre fällt ins Ende der Franco-Ära. Die wirtschaftliche und politische Lähmung jener Zeit lässt seinen Träumen wenig Raum. Nach den Jahren frankophiler Leichtigkeit in Leuven und der unbekümmerten Zeit in Kalifornien, wo er seine erste Frau findet und die Kinder Manolo und Xandra zur Welt kommen, wirken die Repressalien des Franco-Staates wie ein Schock auf ihn. Starr reglementiert wie alle Lebens- und Handelsbereiche ist auch sein Metier - der Weinbau. Spaniens Bodegas und Weinbauern produzieren in erster Linie billige Massenware. Ein ehernes Weingesetz zementiert den Status quo und verhindert jede Neuerung.
In jener Zeit muss das lebensgroße Ölbild entstanden sein, das heute in einem der Salons in Valdepusa hängt. Es zeigt einen hochgewachsenen, schlanken jungen "Beau" mit blauschwarzem Haar, sinnlichem Mund und großen, melancholischen Augen. Einer, dem man auf den ersten Blick nicht unbedingt viel Kampfgeist und Behaarlichkeit zutraut. Der Eindruck täuscht. Don Carlos reist viel in jenen Tagen und saugt förmlich alles auf, was er über Weinbau lernen kann. Am 8. Juni 1973 gibt Franco sein Amt als Regierungschef auf. Carlos Falcó schmuggelt damals in einem LKW die ersten Cabernet-Reben nach Spanien und pflanzt sie auf Dominio de Valdepusa. 1975 stirbt Franco und Prinz Juan Carlos I. von Bourbon - ein Freund der Griñón-Familie - wird König. In seiner Thronrede verspricht er den Spaniern den Übergang zur Demokratie. Das ändert zwar noch nichts an den alten Weingesetzen, gibt Falcó aber neuen Handlungsspielraum.
Fast wundert es, dass ihm damals Zeit für den Weinbau blieb. Nach der Scheidung von seiner ersten Frau im Jahre 1971 lagen ihm schöne und reiche Frauen reihenweise zu Füßen, darunter die Princess Alexandra von Kent und Tina Onassis. Statt sich jedoch von einer der Verehrerinnen becircen zu lassen, soll sich Don Carlos vorwiegend um den Wein und seine Kinder gekümmert haben. Erst zehn Jahre später schlägt die Liebe bei Don Carlos wieder richtig zu: Er lernt Isabel Preysler kennen, damals noch Gattin von Julio Iglesias und laut Regenbogenpresse eine der schönsten Frauen der Welt. Zwei Monate später heiraten sie. Von Stund an beginnt die „Yellow Press”, das Bild vom Marqués als Playboy und Gesellschaftslöwen zu prägen. Ein Image, das ihm in Spanien bis heute anhängt, im wahren Leben jedoch so gar nicht zu ihm passt. Falcó: „Es gab nur ein sicheres Mittel, die Paparazzi zu verscheuchen: Ich habe vor jedem Mikrofon nur über Wein, Wein und nochmals Wein geredet.” Spätestens damals lernt er den Umgang mit der Presse, den er heute so perfekt beherrscht. Die Tochter Tamara wird geboren, doch auch diese Ehe scheitert. Dem Marqués bleiben, was immer schon Zentrum seines beruflichen Lebens war: Dominio de Valdepusa und der Wein.
Dort ist seit Francos Abgang neuer Raum für die Umsetzung seiner Ideen und Visionen. Bald sind die ersten Flächen mit Cabernet und Merlot bepflanzt. Vom Besuch israelischer Apfelsinenplantagen kennt er das System der Tröpfchenbewässerung und führt es 1974 als weltweit erster Winzer auf Valdepusa ein. Mit dem legendären Bordelaiser Önologen Emile Peynaud und dem Vermarktungsstrategen Alexis Lichine holt er sich zwei Topberater in den Betrieb und setzt alles auf die klassischen französischen Rebsorten Cabernet und Merlot. 1982 stellt Falcó seinen ersten kommerziellen Cabernet vor, der ihm - trotz aller Anfechtungen und bösen Kritiken - aus den Händen gerissen wird. Anfang der 90er Jahre schließlich pflanzt er als erster spanischer Winzer Syrah und Petit Verdot. Zusammen mit seinem jungen Önologen Julio Lopez entwickelt er das Konzept des „virtuellen Weinbergs” und arbeitet mit einem computergestützten System, über das Wasserversorgung und Stressmanagement der Reben gezielt gesteuert werden. Dass er dabei seine Weine über lange Jahre hinweg "nur" als Tafelweine, „Vinos de Mesa”, deklarieren musste, stört ihn wenig. Das war die einzige Bezeichnung, unter der in Spanien Weine vermarktet werden durften, die außerhalb der offiziellen D.O.-Gebiete wuchsen. Auf die bekannten vorgeschriebenen Ausbauzeiten im Holzfass für Crianza, Reserva und Gran Reserva kann er getrost verzichten. Stattdessen nutzt er die Narrenfreiheit, die der gesetzlich kaum reglementierte Tafelwein genießt, als Spielfeld für seine Experimente.

Französische Grands Crus als Vorbild

In Falcó steckt aber neben dem innovativen und detailversessenen Ingenieur immer auch der kluge Stratege. Er ist davon überzeugt, dass sich das spanische System viel zu sehr auf die Appellationen, das heißt die „Denominaciones de Origen”, fixiert. Er glaubt, dass Spanien eine Orientierung am System der französischen „Grands Crus” braucht, bei dem Toplagen beziehungsweise Spitzenweingüter im Vordergrund stehen. Nur so lässt sich seiner Meinung nach im Segment der Spitzenweine für den internationalen Markt ein Pendant zu den französischen Châteaux entwickeln. Mit Valdepusa statuiert er ein Exempel: Auf kleiner Fläche werden optimale Qualitäten erzeugt, die unter dem Dach einer starken Marke - Marqués de Griñón - positioniert und im Rahmen eines klaren, überschaubaren Sortiments von Produkten und in limitierter Menge vermarktet werden. Dem Konzept ist Falcó bis heute treu geblieben. Unter der Herkunftsbezeichnung „D.O. Dominio de Valdepusa” werden Jahr für Jahr vier Weine aufgelegt: Je ein reinsortiger Cabernet Sauvignon, Syrah und Petit Verdot sowie als Premiumprodukt des Hauses der ›Emeritus‹, eine Cuvée aus seinen drei Basisrebsorten.
D.O. Dominio de Valdepusa? D.O. - zwei Buchstaben, die für Falcó das eigentliche Ergebnis von 30 Jahren Kampf bedeuten. Gegen den Wíderstand vieler Kontrollräte in den klassischen D.O.-Gebieten hatte das Landwirtschaftsministerium der Regionalregierung von Castilla-La Mancha im Sommer 2000 ein Dekret erlassen, das die Vergabe der anerkannten Herkunftsbezeichnung (Denominación de Origen, abgekürzt D.O.) für so genannte Pagos - gutsbezogene Einzellagen - möglich macht. Das Dekret, das im vergangenen Jahr auch in das novellierte nationale Weingesetz aufgenommen wurde, ist wesentlich der hartnäckigen Initiative des großen Netzwerkers zu verdanken. Damit zieht Spanien erstmals mit Frankreich und Italien gleich, wo Spitzenweingüter ihre Weine seit langem mit Herkunftsbezeichnung vermarkten dürfen. Seit Sommer 2002 ist „Dominio de Valdepusa” nun offiziell Spaniens erste eingetragene „Pago-D.O.”
Für Falcó war das nicht nur der lang ersehnte persönliche Sieg. Er hat damit für Spaniens Topweingüter ein neues Fenster aufgestoßen. Noch ist die Regelung beschränkt auf die Region Castilla-La Mancha. Doch schon stehen viele in den Startlöchern und warten auf das Nachziehen ihrer Regionalverwaltungen. Betriebe wie Enrique Mendoza, Aalto oder Mauro haben sich auf Initiative Falcós mit zirka 15 weiteren „Lagenweinproduzenten” aus Kastilien zum Verbund der Lagenweinproduzenten Grandes Pagos de Castilla zusammengeschlossen und streiten unter seiner Führung für „ihre” D.O. Die Verabschiedung des neuen spanischen Weingesetzes vom Juli 2003 sieht Falcó dabei als großen Durchbruch. Das Gesetz, das er als Berater der Regierung mitgestaltete, hat ihm einiges zu verdanken - vor allem wohl die Schaffung der neuen Qualitätsstufe „Vino de Pago”.
Kampfgeist und Stehvermögen allein reichten jedoch auch bei einem Carlos Falcó nicht aus, um die Probleme eines wachsenden Unternehmens zu stemmen. Mehr der Notwendigkeit als der Zuneigung gehorchend, ließ sich der Marqués 1994 auf ein Joint Venture mit der Rioja-Gruppe ARCO Bodegas Unidas ein. Falcó gab sein Image und sein Expertenwissen als Berater. ARCO, hervorgegangen aus Bodegas Berberana, beteiligte sich an Dominio de Valdepusa, übernahm die Vermarktung der Marke Marqués de Griñón und finanzierte diverse Expansionen in der Rioja, in Toro, Ribera del Duero und in Übersee (Argentinien), die unter dem Namen des Marqués lanciert wurden. Während sich ARCO durch Zukäufe weiterer Betriebe immer mehr zu einem Bodega-Sammelsurium mit Hauptzielrichtung schiere Größe entwickelte, sah Falcó seine Interessen unter dem gemeinsamen Dach immer weniger repräsentiert. Noch ist die Nachricht brandneu: ARCO und Marqués de Griñón gehen wieder getrennte Wege. Carlos Falcó und seine Familie haben sämtliche Rechte für die Marke Marqués de Griñón sowie die ARCO-Anteile an Valdepusa zurückgekauft. Für Falcó bedeutet das einen Kraftakt, den er sicher nicht alleine geschultert hätte. Der Preis für die neue Freiheit lag nach Schätzungen von Insidern wohl im zweistelligen Millionenbereich. Doch offensichtlich trägt der Falcó-Clan die Entscheidung mit. Schon seit Jahren sind Xandra und Manolo aktiv im Unternehmen tätig. Auch Falcós Schwägerin Ester Koplowitz, Milliardärin und Finanzgenie, dürfte ihren guten Rat gegeben haben. Don Carlos scheint die neue Freiheit zu inspirieren. Sie scheint die Lust am Neuen, die sein Handeln ein Leben lang angetrieben hat, wiederum zu einem Höhenflug zu treiben. "Er sprudelt nur so über vor Energie und Ideen, und wir Jungen müssen ihn bremsen", meint Tochter Xandra, die das Marketing des Marqués betreut. In Valdepusa experimentiert Don Carlos mit der autochthonen Graciano-Rebe. Die Fassprobe des 2004er lässt auf einen neuen Topwein hoffen. Im nächsten Frühjahr kommt ›El Rincon‹ auf den Markt. Der neue Stern am Himmel des Marqués stammt aus einem „Pago” in der Nähe von Madrid. Ein weiterer Lagenwein soll demnächst im Rioja-Gebiet auf einem noch zu erwerbenden Gut gekeltert werden. Oder vielleicht doch eher in El Bierzo? Pagos de Familia Marqués de Griñón - gemeinsam mit dem Familienwappen ziert dieser Schriftzug seit neuestem den Auftritt der Bodega. Die großen Projekte der Neunziger - Durius, Dominio de Susar oder die argentinische Linie Duarte - sind tot. Jetzt ist Zeit für die neuen Projekte. Es lebe die Zukunft.”




[af]

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