01.06.1995
Notiz zum Weinerzeuger: Marqués de Griñón Family Estates
Quelle: Vinum (DE/FR/ES) - 6/1995

Conquistador des spanischen Weins: Marqués de Griñón

In der Ausgabe Juni der Zeitschrift »Vinum« werden dieses Mal „Kellerschätze fürs Jahr 2000” vorgestellt: Unter ihnen befindet sich auch Carlos Falcó, der Marqués de Griñón, aus Malpica. Über ihn schreibt die Redaktion mit dem Journalisten Rolf Bichsel nachfolgend im Original:

„Fototermin mit Don Carlos in Rueda. Aufrecht wie ein Feldherr steht er da, im Licht der untergehenden Sonne, und lässt den Blick über die weiten, sanft geschwungenen, steinigen und ganz mit Reben überwachsenen Hügel schweifen, als träume er von neuen, noch tollkühneren Entdeckungen. Und er gleicht dabei aufs Haar einem alten spanischen Conquistador, der sich aufmacht, für seinen König die Welt zu erobern.
Eine Art Conquistador ist er wirklich, Don Carlos Falcó y Fernández de Córdova, Marqués de Griñón, ein Entdecker und Eroberer. Doch nicht nach Gold und neuen Ländereien steht ihm der Sinn, sondern nach dem großen spanischen Wein. Rueda, die aufsteigende Weißweinregion, ist dabei nur eine der Bastionen im Weinimperium des initiativen Marqués. Andere Festungen sind die nahe Ribera del Duero, die Rioja und natürlich seine eigene Finca, die Dominio de Valdepusa nahe bei Toledo.
Eigentlich hatte ich ja bei meinem ersten Besuch bei Carlos Falcó eine Art blasierten Weinsnob erwartet, den Langeweile und Geltungssucht auf den Wein gebracht hatten. Dieses Vorurteil verschwand bereits, als ich im Wagen über das lange, staubige Strässchen holperte, das zu seinem Heim führte, vorbei an perfekt herausgeputzten, modernen Rebanlagen, die in ihrer gepflegten Art verblüffend an Pomerol oder das Médoc erinnerten. Das vermeintliche Weinschloss des Don Carlos entpuppte sich als gemütlicher ehemaliger Jagdsitz, der nicht eben stilvoll Casa de Vacas (Kuhstall) geheißen wird, und der Weingraf erwies sich als so herzlicher wie geistvoller Gesprächspartner - und als leidenschaftlicher Adept der Weinmacherkunst.

Zwei Weinpäpste standen Pate
Auf den Wein kam Don Carlos, ausgebildeter Agraringenieur, nach Studien in Belgien und Kalifornien (Universität von Davis). 1974 legte er seinen ersten eigenen Weingarten in Malpica an, einer Zone, die zu keiner Ursprungsregion gehörte. Bepflanzen liess er den Wingert mit Cabernet Sauvignon. Dazu hatte ihm der legendäre amerikanische Weinbauspezialist Maynard Amerine geraten, weil dieser davon überzeugt war, dass diese Sorte für Spanien am besten geeignet sei.
Dies war zu der Zeit geradezu revolutionär. Es gab in ganz Spanien noch keine Neuanlage mit Cabernet Sauvignon, von Vega Sicilia einmal abgesehen, wo die Sorte bereits vor hundert Jahren heimisch wurde. Die Heimat von Carlos Falcó, die Gegend von Toledo, gehörte zu keiner Appellation. Die Pflanzung entstand daher ganz und gar illegal, und als der Weingraf, nach einigen Abentuern im Rebberg, 1979 die erste richtige Ernte einbrachte, wusste er nicht wohin damit. Nicht einmal Miguel Torres wollte solche Trauben. Doch schließlich hatte Don Carlos - wie sich das für einen echten Adeligen gehört - Beziehung zum internationalen Jet-set, lernte die Hemingway-Tochter Margaux kennen, die wiederum mit Alexis Lichine (Château Prieuré-Lichine, Margaux) befreundet war, und letzter kannte Emile Peynaud aus Bordeaux, den Papst der modernen Önologie, der sich, nach einigem Hin und Her, als Berater engagieren ließ.
Nun bekam der Weinbau in Malpica eine professionelle Note. 1982 wurde der erste Jahrgang in Flaschen gefüllt: ein vollmundiger, fruchtig-saftiger Wein, der sich ausgezeichnet gehalten hat. Die folgenden Jahre notierten noch besser, der Wein wurde von Jahr zu Jahr konzentrierter, fleischiger und würziger. Anfang 1994 entschloss sich Carlos Falcó zu einem Joint-venture mit den Bodegas Berberana (Rioja). Seit 1992 fungiert der Libourner Önologe Michel Rolland (s. »Vinum« 12-94) als weintechnischer Berater. Dieses Team vinifiziert mittlerweile eine ganze Palette sehr interessanter Weine: zwei weiße Rueda, einen davon in neuen Barriques (Rodas Selection Especial), einen roten Tafelwein vom Duero (Durius) und mehrere Rioja modernen Zuschnitts.
Auf den knapp 15 Hektaren in Malpica wird, neben Cabernet Sauvignon, auch etwas Merlot, Syrah und Petit Verdot angebaut. Ob letztere Sorten als Grundlage für eine Assemblage dienen oder reinsortig abgefüllt werden sollen, steht noch nicht fest. Beide haben unheimlich konzentrierte und monolithische Weine von geradezu schockierender Dichte ergeben. Konzentriert und mächtig notieren auch die jüngsten Cabernet-Sauvignon-Jahrgänge. Man wünschte sich manchmal etwas mehr Feinheit und Eleganz. Da Carlos Falcó nicht, wie es bei dieser Art von Weinen oft üblich ist, im Keller konzentriert, stellt sich gar die Frage, ob er nicht zu den wenigen Winzern der Welt gehört, die zu tiefe statt zu hohe Erträge ernten ...
Doch schließlich macht Don Carlos Wein zum Lagern, nicht zum schnellen Genuss. Der 1984er etwa ist heute auf seinem Höhepunkt und wird es noch vier, fünf Jahre bleiben. Er hat genau die Raffinesse und Eleganz entwickelt, die man bei den jüngeren Tropfen etwas vermisst: ein untrügliches Zeichen für das Alterungspotenzial eines Weines. Viel Spaß machen auch die Jahrgänge 1985 bis 1988. Die 89er und 90er öffnen sich nur zögernd. Sie sollten unbedingt dekantiert und zu kräftigen Fleischspeisen genossen werden - etwa zu einem pikant gewürzten Lammgigot.”



[af]

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